Die Selektion in der Volksschule ist gescheitert!
Die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler in Leistungszüge auf der Sekundarstufe I ist in den meisten Kantonen noch immer gängige Praxis. Diese Selektion basiert auf der Annahme, dass Jugendliche in leistungshomogenen Klassen optimal gefördert werden können. Doch diese Vorstellung erweist sich als Trugschluss.
Studien belegen, dass Leistungsüberschneidungen zwischen den Zügen unvermeidbar sind. PISA-Untersuchungen zeigen regelmässig, dass die besten Schüler:innen mit Grundansprüchen in Gymnasialklassen mithalten könnten, während leistungsschwächere Gymnasiast:innen in Klassen mit Grundansprüchen nicht auffallen würden.
Die soziale Herkunft spielt eine entscheidende Rolle: 88% der Frühleser:innen und -rechner:innen aus Akademikerfamilien besuchen später das Gymnasium, bei Arbeiterfamilien sind es nur 11%. Dies unterstreicht die soziale Selektivität unseres Schulsystems.
Regionale Unterschiede sind gravierend: Im Kanton Luzern besuchen 16% der Schüler:innen einen Zug mit Grundansprüchen, im Wallis 44%. In Bern variiert der Anteil je nach Quartier zwischen 17% und 72%.
Es ist alarmierend, dass fast ein Fünftel der Schweizer 15-Jährigen die Mindestkompetenzen in Mathematik und fast ein Viertel im Lesen nicht erreichen. Etwa 30 Prozent der Schüler:innen werden in Leistungszüge mit Grundansprüchen eingeteilt. Wäre die Förderung in diesen vermeintlich homogenen Klassen effektiv, sollten mindestens die Hälfte dieser Jugendlichen die Mindestkompetenzen erreichen. Tatsächlich erreichen aber nur 10 Prozent in Mathematik und 5 Prozent im Lesen diese Schwelle – dies unter der vereinfachten Annahme, dass alle Schüler:innen, die die Mindestkompetenzen nicht erreichen, aus Leistungszügen mit Grundansprüchen stammen.
Die Selektion hat weitere negative Folgen für Schüler:innen mit Grundansprüchen, wie Stigmatisierung und geringere Chancen bei der Lehrstellensuche oder der Aufnahme in weiterführende Schulen. Die angestrebte Durchlässigkeit bleibt oft Theorie. Die Abschaffung der Selektion wäre die wirksamste Einzelmassnahme zur Entlastung der Volksschule und würde den Weg für sinnvolle Reformen ebnen. Mosaik-Sekundarschulen demonstrieren bereits erfolgreich, dass altersgemischte und leistungsheterogene Gesamtklassen mit dem gleichen Lehrplan und denselben Rahmenbedingungen wie "normale" Schulen funktionieren.
(Gekürzte Version. Originalartikel in VPOD Bildungspolitik 238, S. 11)