Category

Individuelle Lernwege machen die Selektion obsolet!

Katrin Meier
February 14, 2025

Altersdurchmischte Klassen sind ein überzeugendes pädagogisches Modell! Wenn verschiedene Jahrgänge zusammen in einer Klasse lernen, gibt es von vornherein keine Norm: Die Kinder arbeiten ganz offensichtlich an unterschiedlichen Kompetenzstufen. Dass man individuell auf den Lernstand eines Kindes eingehen muss, liegt auf der Hand. Wenn Kinder mit besonderen Bedürfnissen inkludiert werden, treten sie nicht gegen eine fixe Norm an, sondern sie fügen einfach weitere Varianten hinzu. Eigentlich klar, dass ich an einer altersdurchmischten Klasse unterrichte und die ideale Grundlage für neue, individuelle Lernmethoden nutze! 

In meiner Mittelstufenklasse in Zürich versuche ich im Unterrichtsalltag eine ausgewogene Mischung von individualisierenden und gemeinschaftsbildenden Unterrichtsbausteinen zu finden. Schliesslich kann individualisierender Unterricht nur Erfolg versprechend funktionieren, wenn die Zusammenarbeit unter den Kindern optimal gefördert wird. Beim gemeinschaftsbildenden Unterricht stehen das gemeinschaftliche Arbeiten und Erleben immer im Vordergrund, dabei arbeiten wir als ganze Klasse in allen Fachbereichen jeweils an einem Thema. Es gilt darauf zu achten, dass offene Aufgaben das Mitdenken und Mitarbeiten aller Schülerinnen und Schüler ermöglichen. Um den einzelnen Kindern trotzdem gerecht zu werden, stehen den Schülerinnen und Schülern verschiedene Levels zum Vertiefen und Festigen des Gelernten zu Verfügung. Gemeinsame Ausflüge, sportliche, gestalterische oder musikalische Vorführungen, Ausstellungen und Projekte stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl zusätzlich. Neben dem Stärken des Zusammenhaltens ist mir aber genauso wichtig, dass ich jedes Kind seinen Fähigkeiten entsprechend fordere und fördere, deshalb arbeiten die Schülerinnen und Schüler in anderen Lektionen gemäss ihrer eigenen Planung an ihren individuellen Zielen. Dabei berate, begleite und unterstütze ich die Schülerinnen und Schüler tagtäglich. Während ich mich einzelnen Kindern widme, müssen sich die anderen Schülerinnen und Schüler ihr Wissen selbständig aneignen oder vertiefen. Dabei lernen sie einerseits, sich bei jemandem aus der Klasse Hilfe zu holen, andererseits ihr Wissen und Können weiterzugeben. Dabei wird die Konkurrenzsituation entschärft und das unterschiedliche Wissen genutzt und als positiv wahrgenommen. Dies beeinflusst das Lernklima nachhaltig in einer positiven Art und Weise, denn wenn allen bewusst ist, dass nicht alle gleich schnell, gleich viel und gleich gut lernen, können alle in einem entspannten und somit besseren Lernklima arbeiten. In Lernpartnerschaften, bei Gruppenarbeiten und im Klassenverband können Jüngere von Älteren lernen und profitieren. Da jedes Kind einmal zu den Älteren gehört, ist jedes Kind – unabhängig von seinen Fähigkeiten – einmal in der Lage, sein Wissen und Können anderen weiterzugeben und so gleichzeitig das Gelernte zu vertiefen. Denn was man erklären kann, hat man verstanden und verinnerlicht. 

Nun gilt es, diese Heterogenität und die dadurch möglichen, individuellen Lernwege in altersdurchmischten Klassen als Argument gegen die Selektion zu nutzen: Auch nach der 6. Klasse dürfen diese individuellen Lernwege nicht enden, sondern sollen genauso weitergeführt werden. Dann wird die Selektion obsolet und wir können im Gegenzug wieder die Inklusion als das oberste Ziel der Volksschule setzen!

Katrin Meier
Primarlehrerin, Vorstandmitglied VSoS