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Selektion gehört abgeschafft!

Clarita Kunz
March 24, 2025

Jeweils im Januar erfahren Eltern von 6.-Klässlern, welcher Sekundarstufe ihre Kinder im nächsten Schuljahr zugeteilt werden und ob sie Chancen haben, auf das Gymnasium gehen zu dürfen. Die Zuteilungsentscheide fallen für viele Jugendliche erfreulich aus. Für andere Kinder ist die frühe Auslese ein Schock. Eben noch offene Türen schliessen sich für sie von einem Tag auf den anderen für längere Zeit, für einige für immer. 

Jetzt bitte keine Kommentare, wie man Kindern erklärt, dass das gar nicht so schlimm sei! Sie könnten doch gut singen, zeichnen und turnen. Biss sei wichtiger als ein guter Schulabschluss und, Gott sei Dank, gebe es das duale  Bildungssystem, könne man ein 10. Schuljahr absolvieren und stünden vielfältigste Wege offen, dank denen man seinen Traumberuf doch irgendwann noch ergreifen könne. 

Nichts gegen das duale System - es ist toll, dass es dieses gibt. Trotzdem sind manche Kinder, nachdem sie den Zuteilungsentscheid erhalten haben, bis ins Erwachsenenleben hinein entmutigt. Sie hören gut gemeinte Ratschläge, erkennen aber genau, dass ihr Weg mühsamer sein wird als jener ihrer Mitschüler:innen. Was viele nicht ahnen: Nur weil sie womöglich langsamer lernen, sind sie nicht generell unfähig und haben manchmal einen höheren Intelligenzquotienten als Gymnasiasten. 

Kinder, die in Familien mit engagierten Eltern aufwachsen, haben Vorteile. Sie werden auf ihren Umwegen von den Eltern moralisch und finanziell unterstützt. Das ist ungerecht. Ungerecht ist auch - und aus pädagogischer Sicht höchst bedenklich -, dass das Schulsystem Unterschiede noch verstärkt, ganz entgegen Pestalozzis Absicht, der einst Schulen gegründet hat, um Eltern von ihrer Bildungsverantwortung zu entlasten. Das muss aufhören! In einem Zeitalter, in dem wir von so vielen wissenschaftlich erwiesenen Erkenntnissen, genialen didaktischen, analogen und digitalen Möglichkeiten profitieren, sollte es gelingen, Lernende bis ans Ende der Pflichtschulzeit inklusiv, also ohne diskriminierende und separierende Massnahmen wie die Selektion oder die Beschulung in Sonderklassen, zu unterrichten. Es braucht eine Selektion, aber sie soll von Lehrmeistern und weiterführenden Schulen und nicht mitten in der Pflichtschulzeit vorgenommen werden!

Langsam und schnell Lernende bestmöglich inklusiv zu fördern, ist machbar, sofern sie im selbstgewählten Tempo arbeiten dürfen und in Mehrjahrgangsklassen von ihrem eigenen Lernstand aus gefördert werden. Sie - und nicht die Lehrperson - sollen bestimmen, wann und zu welchem Thema sie eine Prüfung schreiben wollen. So wären weniger Kinder über-  bzw. unterfordert. Wenn wir umsetzen, was Forschende seit langem fordern, brächte dies auch ökonomische Vorteile. Denn eine Schule, in der Kinder im eigenen Tempo lernen dürfen, bräuchte weniger Heilpädagog:innen: Heute erklären diese schulisch schwachen Kindern Sachverhalte, die sie noch nicht verstanden haben, damit sie den Anschluss an die Jahrgangsklasse nicht verlieren. Doch in der Zeit, in der sie Themen aufarbeiten, ist die Klasse schon beim nächsten Thema. Das ist doch absurd!