Sich irren

Selektion in der Schule: Ist das wirklich das Beste, was wir unseren Kindern bieten möchten?
Wir alle irren uns. Ständig. Als Menschen. Als Gesellschaft. Und ja – auch im Bildungssystem. Doch was, wenn unser Fehler darin besteht, Kinder zu früh in Leistungszüge zu stecken?
Bildung in der Schweiz: Ein System voller Hürden
Das Schweizer Bildungssystem gibt sich durchlässig. Doch die Realität sieht anders aus. Lediglich 3,5 % der Schüler:innen wechseln im Verlauf der Sekundarstufe I das Leistungsniveau. Warum? Das weiss niemand so genau – denn es gibt keine schweizweiten Analysen dazu. Dies beschreiben die Autor:innen in der aktuellen Ausgabe 4 | 2025 von "Bildung Schweiz", der Zeitschrift des LCH.
Fakt ist: In welchem Kanton ein Kind zur Schule geht, entscheidet über seine Zukunft. In Zürich landet Toni in der Sek C – mit minimaler Chance auf einen Aufstieg. Jacqueline im Wallis hingegen kann ihre Stärken betonen, weil ihr Kanton ein flexibleres System anbietet. Dass diese Unterschiede existieren, ist eine der grossen Ungerechtigkeiten unseres Bildungssystems, schreibt Alex Rudolf.
Was aber heute viele glauben: Unser Schulsystem ist durchlässig. Meine Frage dazu: Ist 3,5 % das Beste, was wir anbieten können?
Selektion: Ein Präzisionsinstrument, ein unscharfes Schwert oder ein Holzkeil?
Laut Bildungsforscher:innen gibt es eine enorme Unschärfe bei der Selektion. Nur 20 % der Schüler:innen sind wirklich eindeutig einem Niveau zuzuordnen – der Rest könnte genauso gut woanders sein. Wir trennen also mit einem Instrument, das unsauber arbeitet. Und das hat Folgen:
- Kinder aus bildungsfernen Familien bleiben eher im unteren Leistungsniveau gefangen.
- Die soziale Herkunft entscheidet oft mehr über den Bildungsweg als die tatsächliche Leistung.
- Die geringe Durchlässigkeit zementiert Ungleichheiten, statt sie zu korrigieren.
Die Selektion gleicht somit eher einem groben Holzkeil als einem Präzisionsinstrument – und präziser wird sie auch nicht werden. Es gibt genügend Expert:innen, die die Genauigkeit dieses Systems belegen können.
Meine Frage dazu: Ist dieser Status quo wirklich das Beste, was wir anbieten können?
Eine Schule für alle – die einzige Antwort auf Chancengerechtigkeit
Wenn wir Chancengerechtigkeit und gute Bildung ernst nehmen, dann gibt es nur eine logische Konsequenz: eine Schule für alle. Eine Schule, in der Kinder nicht frühzeitig aussortiert werden. Eine Schule, die individuelle Förderung ermöglicht, statt Trennung zu betreiben. Die Forschung ist sich einig: Je weniger Separation, desto durchlässiger das System.
Vielleicht ist es Zeit, einen Fehler einzugestehen: Selektion hilft nicht – sie schadet. Und wenn wir das erkannt haben, sollten wir auch den Mut haben, unser Bildungssystem grundlegend zu verändern.
Denn Bildung sollte kein Privileg sein. Sie sollte ein Versprechen sein – ein Versprechen an alle, das Beste in allen Menschen zu fördern.